Meeresspiegelanstieg seit der letzten Eiszeit

Mein Interesse in die (europäische) Perspektive zum Anstieg des Meeresspiegels wurde über eine Diskussion zu Offshore-Windparks in der Deutschen Bucht und einer nordwestlich davon gelegenen Sandbank, der Doggerbank, geweckt. Bei der weiteren Recherche nach Untiefen in der Nordsee stieß ich auf die Information, dass das Gebiet der heutigen Nordsee noch zur Zeit der letzten Kaltzeit (Eiszeit) nicht nur trocken gelegen hatte, sondern auch von Menschen bewohnt war. Daran schloss sich dann ganz schnell die Fragen an: Was passiert eigentlich mit der Population, wenn plötzlich das Land wegbricht? Gab es so etwas auch in jüngerer Zeit und können wir daraus lernen? Die Recherche gipfelte in der Lektüre des Buches The Remembered Land, das sich mit dem Untergang von Doggerland, im Buch Northsealand genannt, seiner Bevölkerung und Überlebensstrategien bei Landverlust befasst.

Untergang von Doggerland

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Doggerland and Doggerbank [1]

Doggerland erstreckte sich über weite Teile des Gebietes der heutigen Nordsee und wurde zum Norden durch eine tiefe Rinne begrenzt, die vor der norwegischen Küste vom Nordatlantik bis in den Skagerrak hineinreicht und schloss somit die heutige Lücke zwischen den Britischen Inseln und dem europäischen Festland. Der Ärmelkanal lag ebenfalls nahezu komplett trocken. Die Doggerbank ist eine Sandbank in der heutigen Nordsee und, zieht man den historischen Meeresspiegelanstieg in Betracht, lediglich eine höhere Ebene auf Doggerland. Die Doggerbank dient in unserer Zeit primär als Fischfanggebiet und ist als Projektgebiet für Offshore-Windparks angedacht.

Doggerland lag bis circa 16.000 v.Chr fast komplett über dem Meeresspiegel, war jedoch zu einem erheblichen Teil vom Eisschild der Weichsel-Kaltzeit bedeckt. Nachdem sich die weltweiten Eisschilde immer weiter zurückzogen, stieg der Meeresspiegel rapide an und weite Teile von Doggerland wurden überschwemmt. Zwischen 8.000 und 7.000 v.Chr. begannien sich die ersten Teile der Nordsee um die heutige Doggerbank herum zu bilden, später Zeit wurde dann auch die Landfläche zwischen Deutschland, den Niederlanden und England sowie der Kanal überschwemmt. Dies isolierte nicht nur die heutigen Britischen Inseln vom europäischen Festland, sondern auch die immer noch etwa 17.600 \(km^{2}\) große Doggerbank. Es wird angenommen, dass um circa 5.500 v.Chr. die noch trockene Doggerbank von einem großen Tsunami, in Folge der Storrega-Rutschung, überspült wurde. Dieses Ereignis dürfte katastrophal für die Bevölkerung gewesen sein und es ist unklar ob sich diese davon erholen konnte. Nach 5.500 v.Chr verschwand Doggerland langsam dauerhaft unter den Fluten.

Population vor dem Anstieg

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Meeresspiegelanstieg nach der letzten Kaltzeit [2]

Die tiefere archäologische Untersuchung des Gebietes ist durch die heutige Überflutung deutlich erschwert. Einzig in küstennahen Regionen werden durch moderne Landgewinnungsmaßnahmen und Hafenbau, wie z.B. bei den niederländischen Häfen Europoort und Maasvlakte, viele steinzeitliche Überreste wie Werkzeuge und Knochen zu Tage gefördert. Diese bieten Hinweise auf die Besiedelung von Doggerland. Während der relativ schnelle Anstieg zum Ende des Mesolithikums vermutlich weitere Artefakte konserviert hat, ist die Suche danach sehr schwer und das Meer erflaubt bisher wenig Aufschluss darüber, ob die Bevölkerung von Doggerland nach der Überschwemmung auf Festland übersetzte, oder vor Ort ihr Ende fand.

Zur Zeit der finalen Überflutung der letzten Reste von Doggerland endet auch das Mesolithikum (Mittelsteinzeit), das sich durch Gemeinschaften von Jägern und Sammlern auszeichnet. Die Tiefebenen von Doggerland waren für diese Gemeinschaften ein sehr geeigneter Lebensraum. Doggerland zeichnete sich zu diesem Zeitpunkt durch Küstenregionen mit flachen Gewässern, sich daran anschließended Marschland mit zahlreichen Flüssen und einen großen Binnensee aus. Diese Umgebung bot reiche Fisch- und Jagdgründe, die wieder weitere Tiere anzogen, während sich durch das erwärmende Klima auch der Vegetationsgürtel nach Norden verschob. Eine solche Umgebung bot für die Jäger und Sammler eine ideale Lebensumgebung und konnte die wohl immer häufiger auftretenden Überschwemmungen aufwiegen. Weiterhin gilt es als wahrscheinlich, dass Doggerland in seiner Form als Landbrücke, bzw. später in Form einer großen Insel, kulturellen und wirtschaftlichen Austausch zwischen Festland und den britischen Inseln ermöglichte.

Umgang mit einer Welt im Wandel

The Remembered Land versucht nicht nur zu beschreiben wie Doggerland möglicherweise ausgesehen haben könnte, sondern zieht auch Vergleiche zu anderen Völkern, die mit dem Verlust ihres Lebensraums konfrontiert werden und wie diese es schaffen generationsübergreifend Informationen über zum Beispiel Gefahren zu transportieren. Auch der Umgang mit der Überschwemmung des Lebensraums könnte ähnlich überliefert worden sein. Dieser langwierige Prozess sieht historisch aus wie ein einziges Ereignis aus. Vermutlich aber fanden immer wieder schubweise Überschwemmungen statt, wie auch heute vor allem bei schweren Stürmen und Tsunamis Land stückweise verloren geht. Diese über einen relativ langen Zeitraum immer wieder eintretenden Überschwemmungen führten langfristig zur Verschiebung der Wasserlinie oder einer unbrauchbaren Umgebung, wie zum Beispiel einer Versalzung von Ufergebieten und Grundwasser.

Solche Ereignisse treten für den einzelnen Menschen selten, in der Geschichte einer Gemeinschaft aber immer wieder auf und mussten daher Folgegenerationen weitergegeben werden, wollte man nicht jedes mal neu lernen damit umzugehen. Viele Ureinwohner überliefern noch heute in verschiedenen Formen, zum Beispiel über Geschichten oder auch gesellschaftliche Tabus, gefährliche Orte und Ereignisse. So war beim Tsunami 2004 im indischen Ozean das thailändische Urvolk der Moken dazu in der Lage, den Tsunami frühzeitig am rapide zurückgehenden Meer zu erkennen und höher gelegene Orte aufzusuchen und hatten in Folge dessen nur ein einziges Todesopfer zu beklagen. Ein anderes Beispiel sind die Maori, die bestimmte verbotene Regionen haben, welche nicht aufgesucht werden dürfen. Eben jene Gebiete zeichnen sich durch häufige vulkanische Aktivität aus.

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Druckausgabe von The Remembered Land

Inselvölker, die in der Neuzeit mit Überschwemmung ihrer Heimat kämpfen, reagieren sehr unterschiedlich auf diese Gefahr. Während einige frühzeitig ihre Inseln verlassen, um nicht mehr mit immer häufigeren Wetter- und Überschwemmungsereignissen kämpfen zu müssen, weigern sich andere beharrlich ihr Land zu verlassen, auch wenn sie wohl mit diesem untergehen werden. Die Reaktion der einzelnen Gruppierungen auf Doggerland mag also durchaus unterschiedlich ausgefallen sein. Mit Sicherheit waren jedoch auch bereits die mesolithischen Völker dazu in der Lage auf Festland überzusetzen, nachdem sämtliche Landbrücken überschwemmt waren.

Im modernen Europa scheinen die Niederlande am stärksten von Landverlust betroffen zu sein, sind dort noch im 18. Jahrhundert ganze Dörfer (in Poldern, "Verdronken Land van Saeftinghe") untergangen. Seitdem halten sich die Landverluste im Rahmen und man ist technologisch sogar dazu in der Lage Land zu gewinnen. Nach der Flutkatastrophe 1953 wurden in den betroffenen Gebieten umfangreiche Maßnahmen ergriffen. Es wurden zahlreiche Sperrwerke gebaut, z.B. in den Niederlanden das große Schutzsystem der Deltawerke oder in Großbritannien die Thames Barrier. Ob man dem Meer auf Dauer das tief gelegene Land abtrotzen kann, bleibt jedoch abzuwarten. So ist zum Beispiel die Küste der Grafschaft Suffolk weiterhin starken Fluten ausgesetzt und hat mit Landverlust zu kämpfen. Es scheint noch offen, ob dort weitere Befestigungsmaßnahmen ergriffen werden, oder man relativ große Landesteile aufgibt und auch inländische an Flüssen gelegene Ortschaften weiterhin Sturmfluten aussetzt.

Fest steht, dass der Meeresspiegelanstieg, egal wie stark er durch den menschgemachten Klimawandel beschleunigt wird, unaufhaltsam ist, bis globale Temperaturen nicht mehr weiter steigen. Weiterhin besteht die Möglichkeit, dass große Mengen an Schmelzwasser impulsartig in die Meere einfließen, wie dies bei der Misox-Schwankung (engl.: 8.2kya Event) der Fall war. Der nahezu instantane Meeresspiegelanstieg, der zwischen 0,5 m und 4 m geschätzt wird, war dauerhaft. Selbst wenn solche Ereignisse vorhergesehen werden können, so ist die Gefahr groß, diese zu unterschätzen. Dies sieht man an der durch einen Erdrutsch ausgelösten Katastrophe im Vajont Stausee (Italien, 1963), die eine gesamte Ortschaft vernichtete. So muss ein großes Ereignis vergleichbar mit der Storrega-Rutschung oder der Misox-Schwankung nicht nur erkannt, sondern auch auf politischer Ebene weitsichtig behandelt werden, möchte man bei solch einem Ereignis nicht ganze Länder aufs Spiel setzen. Technologisch scheint man seit einiger Zeit dazu in der Lage zu sein, große Fluten aufzuhalten. Die Herausforderung besteht darin diese in ihrem Ausmaß vorherzusehen und frühzeitig und umfassend vorzusorgen.

Literatur:

Bildnachweise:

[1] Doggerland and Doggerbank: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Doggerland3er_en.png By Francis Lima (Own work) [CC BY-SA 4.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0)], via Wikimedia Commons
[2] Meeresspiegelanstieg nach der letzten Kaltzeit: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Post-Glacial_Sea_Level.png Bz Robert A. Rohde [CC-BY-SA 3.0 (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0)], via Wikimedia Commons